Ressort Politik

Der nicht-jüdische Jude im Angesicht der Katastrophe:

der Fall Otto Heller (1897–1945)

Das Forschungsprojekt erarbeitet eine politisch-intellektuelle Biografie des kommunistischen Theoretikers und Journalisten Otto Heller (1897–1945). Es konzentriert sich dabei auf Hellers Auseinandersetzung mit der sogenannten »jüdischen Frage« in einer Zeit, in der sich – für die Menschheit, das europäische Judentum und für ihn persönlich – eine Katastrophe ereignete.

Heller war ein beispielhafter »nicht-jüdischer Jude«, wie der polnisch-britische Schriftsteller und Historiker Isaac Deutscher diesen Typus definierte: Ein »jüdischer Ketzer, der das Judentum transzendiert«, aber gerade deshalb »in einer jüdischen Tradition steht«. Aufgewachsen im Wien des Fin de Siècle und später in Böhmen tätig, einer Region der Tschechoslowakei, in der viele nationale Spannungen zu Tage traten, waren jüdische und nationale Fragen in Hellers Leben miteinander verwoben. Als prominenter kommunistischer Journalist im Berlin der Weimarer Republik erlebte er in den späten 1920er Jahren die Stalinisierung und die Entfernung von Juden aus hohen Positionen der kommunistischen Bewegung. In den 1930er Jahren wurde er der führende marxistische Theoretiker zu jüdischen Belangen im deutschsprachigen Raum. Aus Nazi-Deutschland ging er ins Exil nach Moskau, das er aus Angst vor den stalinistischen Säuberungen wieder verließ. In den folgenden Jahren kämpfte er in den Internationalen Brigaden des Spanischen Bürgerkriegs, beteiligte sich an der Résistance im besetzten Frankreich und an der Internationalen Widerstandsbewegung in Auschwitz. Er starb in einem Konzentrationslager in Österreich, nur wenige Wochen vor der Befreiung.

Das Forschungsprojekt geht der Frage nach, wie Heller zu einem typischen »nicht-jüdischen Juden« wurde und sich später in einen ausgesprochen »jüdischen« »nicht-jüdischen Juden« verwandelte, der sich intensiv mit der sogenannten »jüdischen Frage« auseinandersetzte. Was kann am Beispiel Hellers über die Einwirkung der historischen Katastrophe auf die existenzielle Lage des »nicht-jüdischen Juden« erfahren werden?