Wer war Simon Dubnow?

Simon Dubnow wurde 1860 als Sohn eines Holzhändlers und Enkel eines Rabbiners im heute belarussischen Mstislawl im russischen Zarenreich geboren. Nach einer traditionellen religiösen Erziehung wandte er sich zum Leidwesen seines Großvaters schon früh der jüdischen Aufklärung, der Haskala, zu. Den orthodoxen Cheder-Schulen, auf die er seine eigene »Rebellion gegen den Talmud« zurückführte, trat er später entschieden entgegen. Nach jahrelangem Selbststudium und publizistischer Tätigkeit ließ er sich 1906 in St. Petersburg nieder.

 

Der Publizist

Während seiner frühen Jahre in Mstislawl, Odessa, St. Petersburg und Wilna war Dubnow kritischer Beobachter der politischen Ereignisse und schrieb Aufsätze für verschiedene russisch-jüdische Zeitschriften, u. a. über die Pogrome im späten Zarenreich und die großen Revolutionen der Jahre 1905 und 1917. Er plädierte leidenschaftlich für die Wahrung eines kollektiven jüdischen Selbstverständnisses als Volk, das mit der Erfüllung der allgemeinen staatsbürgerlichen Pflichten durch Juden in der Diaspora einhergehen sollte. Im Zentrum seiner Forderungen standen die rechtliche Emanzipation der Juden und ihre Autonomie in Selbstverwaltung, Sprache und Erziehung.

Der Historiker

Simon Dubnow war nach Heinrich Graetz der erste moderne Historiker, der eine umfassende »Weltgeschichte des jüdischen Volkes von den Uranfängen bis zur Gegenwart« vorlegte. Sein zehnbändiges Opus magnum erschien zuerst auf Deutsch. Weil sich sein Denken durch intellektuelle Nähe zu der liberalen politischen Kultur Westeuropas auszeichnete, wurde er zu einem kulturellen Mittler zwischen den westlichen und östlichen Judenheiten: So hatte er bereits 1881 die »Volkstümliche Geschichte der Juden« von Heinrich Graetz ins Russische übersetzt. Als Historiker war Dubnow insofern ein Pionier, als er ein geschichtstheoretisches Modell entwickelte, auf dessen Grundlage er die jüdische mit der allgemeinen Geschichte verband. Auch in seinen Memoiren, in denen er – zum Teil als Augenzeuge – über Schlüsselereignisse der jüdischen und allgemeinen Geschichte berichtete, erwies er sich als »Historiker seiner Zeit«.

Im Exil

Nach dem Zusammenbruch des zarischen Imperiums emigrierte Dubnow nach Berlin. Dort schloss er unter dem Eindruck der Begegnung von Ost- und Westjudentum seine zweibändige Geschichte des Chassidismus ab. In der deutschen Hauptstadt musste er den Aufstieg des Nationalsozialismus mitansehen. Er gelangte zu der Überzeugung, eine Zeitenwende zu durchleben, in der die Ideenwelt des 19. Jahrhunderts vollends zerstört wurde. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 sah er sich genötigt, ein weiteres Mal zu emigrieren. Obwohl ihm die Einwanderung in die Vereinigten Staaten angeboten worden war, suchte er die Nähe zu seiner Familie in Riga – eine Entscheidung, die sich mit dem Einmarsch der Wehrmacht als verhängnisvoll erweisen sollte: Simon Dubnow wurde 1941 bei der Liquidierung des Rigaer Ghettos durch die deutschen Nazis und ihre lokalen Helfershelfer ermordet.