Wintersemester 2022/2023
Jüdische Autobiografien nach 1945.
Autorinnen und Autoren, Texte und Debatten
Do., 11.15–12.45 Uhr
Start: 13. Oktober 2022
Dubnow-Institut, Goldschmidtstr. 28, Leipzig
Seminarsprache: Deutsch
Die Schriftstellerin Barbara Honigmann charakterisierte einmal die Autobiographie – zusammen mit Briefen und Tagebüchern – mit dem Begriff des »anvertrauenden Schreibens«: In diesen Genres, so Honigmann, werden »Geschichten des Tages« erzählt, von denen sich später herausstellen wird, »daß sie die große Geschichte ausmachten.« Jüdische Autobiographien und Überlebenszeugnisse nach 1945 vereinigen, so betrachtet, Objektivität und Subjektivität auf eine besondere Weise: Sie sind historischer Erkenntnis verpflichtet und zugleich sind sie auch der Ort der literarischen Suche nach einer individuellen und angemessenen Sprache für die Darstellung der eigenen Erfahrungen. Viele dieser Bücher zählen inzwischen zum Kanon der deutschsprachigen Literatur nach dem Holocaust, erinnert sei nur an Jean Amérys »Jenseits von Schuld und Sühne« (1966), Gershom Scholems »Von Berlin nach Jerusalem« (1977, 1982/1994), Ruth Klügers »weiter leben« (1992) oder Marcel Reich-Ranickis »Mein Leben« (1999). Die aktuelle Forschung in den Geschichts- wie in den Literaturwissenschaften nähert sich den Formen des autobiographischen Schreibens inzwischen historisch wie literarisch an, denn diese Texte fordern einen solchen doppelten Blick ein.
Das Seminar bietet exemplarische Erkundungen der doppelten Zugehörigkeit der Autobiografie zu Geschichte und zu Literatur an. Es erfordert nicht nur ein hohes Lektürepensum, sondern auch die Bereitschaft, sich auf theoretische und methodologische Fragen zur Geschichtsliteratur einzulassen: Wie verhalten sich historische Erkenntnis und literarisches Wissen zueinander? Welche Art von Objektivität und welche Form von Subjektivität bilden die Logik von Autobiographien aus? Welche Sprache bieten diese Texte den Leserinnen und Lesern an? Von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wird die mündliche Vorstellung eines selbst gewählten Werkes im Seminar und die schriftliche Ausarbeitung des Referats zu einer Hausarbeit erwartet.
Literatur: Markus Roth, Sascha Feuchert (Hgg.), Holocaust – Zeugnis – Literatur. 20. Werke wieder gelesen, Göttingen 2018; Markus Malo, Behauptete Subjektivität. Eine Skizze zur deutschsprachigen jüdischen Autobiographie im 20. Jahrhundert, Tübingen 2009; Barbara Honigmann, Das Gesicht wiederfinden. Über Schreiben, Schriftsteller und Judentum, München, Wien 2006; als Hilfsmittel eignen sich: Gudrun Wedel, Autobiographien von Frauen. Ein Lexikon, Köln, Weimar, Wien 2010; Markus Malo, Bibliographie deutschsprachiger jüdischer Autobiographien. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Berlin, Bern, Wien 2020.
für Seniorenstudium geöffnet: nein
Begrenzung der Teilnehmerzahl: 20