Ein gegenseitiger Prozess der literarischen Gestaltung:
Mutterschaft in zeitgenössischer arabischer und hebräischer Prosa
Seit der Wende zum 21. Jahrhundert hat sich in verschiedenen Kultur- und Literaturkreisen des Nahen Ostens, darunter in Israel (von Juden und palästinensischen Bürgern Israels), im Libanon und in Ägypten, das Schreiben über die Erfahrungen der Mutterschaft verändert. In wissenschaftlichen Studien zu diesem Thema (Hashash 2022; Olmert 2018; Abudi 2011) finden wir zwar auch neue Argumente und Einsichten, doch sie sind in der Regel von westlichen Einflüssen und Sichtweisen geprägt und bestätigen meist die herkömmlichen nationalistischen Paradigmen, in deren Muster sie sich einfügen, sei es im Sinne des arabischen oder des jüdischen Nationalismus. Indem sie das Thema der Mutterschaft im nationalen Rahmen denken, gehen diese Studien jedoch oft gerade an der komplizierten Verflechtung und an der Ähnlichkeit vorbei, die für arabische und jüdische Formen der Mutterschaft so typisch sind und daher sind die Analysen, die sie anbieten, zwangsläufig unvollständig.
Dieses Projekt schlägt stattdessen vor, einen nicht-nationalistischen, sondern vielstimmigen literarischen Beziehungsrahmen zu suchen, der eine andere Sichtweise ermöglicht, die nicht nur Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten zwischen arabischen und jüdischen Mutterfiguren erkennbar macht, sondern zugleich auch die in viele Richtungen wirkende gegenseitige Beeinflussung weiblichen Schreibens über Mutterschaft. Um sicherzustellen, dass die spezifischen historischen Hintergründe der für die Analyse ausgewählten literarischen Werke berücksichtigt werden, werden arabische Erzählungen, die von in Ägypten geborenen und aufgewachsenen Schriftstellern verfasst wurden, zusammen mit hebräischen Erzählungen von jüdischen Mizrachi-Schriftstellern, Töchtern jüdisch-ägyptischer Nachkommen, in das Sample der untersuchten Texte einbezogen. Auf der Grundlage feministischer Literaturtheorien werden die Texte von Schriftstellerinnen untersucht, die keine Newcomer sind, sondern in ihren Ländern und international bereits einen anerkannten literarischen Status besitzen, etwa (Radwa Ashour, Orly Castel-Bloom, Ronit Matalon, Nadia Kamel und Iman Mersal). Eine komparatistische Lektüre der hebräischen und arabischen Literatur, in der beide literarischen Sphären für die andere jeweils den Kontext und den Rahmen bildet, soll auch die gemeinsamen Vermächtnisse und Traditionen erkennbar machen, die sie ideell und historisch teilen.