Eine neue Geschichte der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung

Ziel der Forschergruppe »Eine neue Geschichte der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung« war es, einen neuen Zugang zur Geschichte der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung und zu den mit ihr verbundenen Intellektuellen- und Bildungskulturen zu eröffnen. Dies geschah in eng aufeinander abgestimmten Einzelstudien. Die kooperative Arbeitsform gab jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Gelegenheit, den Projektgegenstand möglichst selbstständig und zugleich in ständigem Dialog miteinander zu erforschen. Das Vorhaben war als wissenschaftliches Netzwerk strukturiert, in dem herausragende Persönlichkeiten der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung, prominente ebenso wie bislang kaum wahrgenommene, im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses standen. Die biographisch vermittelten Annäherungen zielten dabei nicht auf traditionelle Gelehrten-, Funktionärs- und Werkbiographien oder auf organisationsgeschichtliche Abhandlungen. Im Zentrum der Studien standen vielmehr die geistigen und lebensweltlichen Erfahrungen der Akteure. Mittels ihrer Lebenswege, die gleichsam als historische Quelle und historisches Medium dienen, wurde die historische Geltungskraft arbeiter- und gewerkschaftsbewegter Begriffe, Kategorien und Vorstellungswelten herausgearbeitet.

Der Untersuchungszeitraum, der von der Nachwuchsforschergruppe mit je unterschiedlicher Akzentsetzung in den Blick genommen wurde, reichte vom 19. Jahrhundert bis in die 1980er Jahre. Er umfasste damit die Zeitspanne von der Entstehung und Etablierung der organisierten Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung bis zur Endphase des Kalten Kriegs. Der zentrale Bezugspunkt des Gesamtvorhabens war jedoch das Ereignis, das geradezu erratisch zwischen diesen beiden von der sozialen Semantik geprägten Epochen steht: der Zweite Weltkrieg mit dem Holocaust als seinem Kerngeschehen.

Der durchgängige Bezug auf den Holocaust ergibt sich aus seiner epistemischen Bedeutung für die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung. Denn die Vernichtung der europäischen Juden hat weder die davorliegende noch die darauffolgende Zeit unbeschadet gelassen. Durch den Zivilisationsbruch wurden die zentralen Kategorien der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung, die ausnahmslos dem Zeitalter der ersten industriellen Revolution entstammen, beschädigt. Im 19. Jahrhundert generierte Begriffe wie »Arbeit«, »Fortschritt« und »Klasse« erfuhren eine Entwertung. Damit erscheint auch die Entstehung der arbeiter- und gewerkschaftsbewegten Kategorien und Vorstellungswelten in einem anderen Licht; ihre Beschädigung wirkt gleichsam auf die Zeit ihrer Herausbildung zurück. Durch die Reflexion dieser Entwertung wird der Blick für die Geltungskraft und -dauer, aber auch für zu aktualisierende Traditionen der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung geschärft.

Projektleiterin
Prof. Dr. Yfaat Weiss

Leiter der Forschungsgruppe
PD Dr. Jan Gerber

Finanzierung

Das Forschungsprojekt wurde gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung und vom Freistaat Sachsen.