Konferenz

»Perplexities – The Holocaust and the Political Memory of the Left«

Jahreskonferenz des Dubnow-Instituts

Die diesjährige Jahreskonferenz stellt die Frage, ob und aus welchem Grund die Vernichtung des europäischen Judentums als Zentralereignis des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges in der Zeit danach nicht so wahrgenommen worden war, wie es dem Ereignis angemessen gewesen wäre, und wie dies später im Kontext der Erinnerung an den Holocaust auch eingetreten ist. Vor allem will die Konferenz dreierlei Umstände berücksichtigen: erstens die weltpolitische Konstellation des Kalten Krieges und die Furcht vor einem nuklearen Homozid, zweitens die anbrandende Dekolonisierung und die damit verbundenen Kolonialgräuel und drittens, als überaus zentrales Anliegen, den Umstand, dass die linken, sozialistischen und teleologischen Geschichtsdeutungen zu einer verstellten Wahrnehmung auf den Holocaust beigetragen haben. Die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung wird deshalb ins Zentrum des epistemologischen Interesses gerückt, weil sie selbst Opfer des Nationalsozialismus war und sich mit seiner Niederwerfung in ihrem Weltbild, in dem sie als Sieger der Geschichte vorkam, bestätigt fühlte. Insofern scheint hier eine besonders komplexe Form der Chiffrierung und Verschiebung vorzuliegen. Ein weiteres Anliegen der Konferenz ist es, die unterschiedlichen Erfahrungs- und Gedächtnisschichten zu diskutieren, die zur Erklärung der Nicht-Wahrnehmung heranzuziehen sind, und zu erörtern, ob und inwiefern die Exilerfahrung ihren Niederschlag in der Theoriebildung fand. Ein geographischer Schwerpunkt wird auf den Nachfolgestaaten des nationalsozialistischen Deutschland liegen. Zu berücksichtigen ist jedoch auch der westeuropäische Kontext mit seinen spezifischen Nachkriegsmythen, wobei Frankreich, das zugleich Kontinental- wie Kolonialmacht war, von besonderem Interesse ist. Am Beispiel des Algerienkriegs sollen die gegenläufigen Gedächtnisse und die Kollision divergenter Geschichtserfahrungen diskutiert werden, ebenso wie die Frage aufgeworfen werden soll, inwieweit die Bezugnahme der Linken auf den antikolonialen Befreiungskampf auch dem Bedürfnis einer projektiven Entlastung der eigenen Geschichte entspringt.

Die Situation in den realsozialistischen Ländern Osteuropas wird ebenfalls in der Konferenz behandelt. Hierbei ist darüber zu diskutieren, inwieweit Theorien wie der Marxismus-Leninismus und die kommunistische Faschismusanalyse ein Mittel der Verdrängung und somit ein Hindernis der Beschäftigung mit dem Holocaust darstellten. Obwohl dieser in der Nachkriegszeit nirgends angemessen thematisiert wurde, war er dennoch latent präsent und kam immer wieder eruptiv an die Oberfläche, was vor allem an Ereigniskonstellationen manifest wurde, die von Seiten der Linken affektiv besetzt waren.

Stephan Braese (Technische Universität Berlin), Daniel Cohn-Bendit (MdEP, Brüssel), Manuela Consonni (The Hebrew University of Jerusalem), Jason Dawsey (University of Southern Mississippi), Dan Diner (Simon Dubnow Institute / The Hebrew University of Jerusalem), Wolfgang Emmerich (Universität Bremen), Lutz Fiedler (Simon Dubnow Institute / Jerusalem), Jan Gerber (Universität Halle), Philipp Graf (Simon Dubnow Institute), Malachi Hacohen (Duke University), Alexandra Kemmerer (Simon Dubnow Institute), Sigrid Meuschel (Universität Leipzig), Moishe Postone (University of Chicago), Agnieszka Pufelska (Universität Potsdam), Anson Rabinbach (Princeton University), Margit Reiter (Universität Wien), Gerhard Scheit (Universität Wien), Birgit Schmidt (Berlin), Bruno Schoch (HSFK, Frankfurt am Main), Aleksander Smolar (Batori Foundation, Paris), Sebastian Voigt (Simon Dubnow Institute), Michael Werz (German Marshall Fund, Washington DC), Susanne Zepp (Simon Dubnow Institute), Philipp Graf (graf@dubnow.de), Sebastian Voigt (voigt@dubnow.de)

29. bis 30. Oktober 2008
Dubnow-Institut