Simon-Dubnow-Vorlesung

Deutsch-jüdische Sportgeschichte – Zwischen Inklusion und Exklusion

7. Simon-Dubnow-Vorlesung

Fußball war für Walther Bensemann, geboren 1873, eine Lebensaufgabe. In der Jugend selbst auf dem Platz gewesen, organisierte er bald das erste, wenngleich noch inoffizielle deutsche Länderspiel gegen eine englische Mannschaft. 1900 reiste er nach Leipzig, um den Deutschen Fußball-Bund mit ins Leben zu rufen; 1920 gründete er die bis heute existierende Fußballzeitung Kicker. Ihm als Juden schien der Fußball die Aussicht auf Toleranz und Internationalität zu eröffnen. Mit seinem Engagement suchte er nicht nur seinen Platz in der Gesellschaft zu sichern, sondern er hoffte, die Nationalismen seiner Zeit transzendieren zu können.

Die Biografie Walther Bensemanns steht exemplarisch für das Thema der Dubnow-Vorlesung, die am 30. November 2006 zum siebenten Mal in der Alten Handelsbörse zu Leipzig gehalten wurde und die das Simon-Dubnow-Institut auch in diesem Jahr mit Unterstützung der Fritz-Thyssen-Stiftung ausrichtete. Im Jahr der Fußball-Weltmeisterschaft, bot es sich an, die deutsch-jüdische Sportgeschichte zum Thema zu wählen. Mit Professor Moshe Zimmermann – Direktor des Koebner-Centers for German History an der Hebräischen Universität Jerusalem – wurde hierfür ein führender Historiker der deutsch-jüdischen Geschichte gewonnen. Zudem ist Zimmermann seinen Kollegen als begeisterter Hobbykicker bekannt.

Dass das Thema Sport alles andere als akademisch unseriös ist und sich für mehr als bloß unterhaltende Aperçus anbietet, zeigte Zimmermann anhand seiner Sozialgeschichte jüdischen Sports in Deutschland. Deren Merkmale sind Inklusion ebenso wie Exklusion – sie stehen somit für die deutsch-jüdische Erfahrung insgesamt.

Moshe Zimmermanns Ausführungen stützten sich auf die Biografie Bensemanns. Den schleichenden Prozess der Exklusion verspürte Bensemann auf einer Reise durch Rügen im Jahre 1932; auf einer Werbetafel im Hafen von Sassnitz war zu lesen: »Unser Strandhotel ist judenrein.« Als Herausgeber des Kicker musste er sich herausgefordert fühlen, als Der Stürmer im gleichen Jahr über den jüdischen Trainer des FC Nürnberg Jenö Konrad hetzte und den »Klub« aufforderte: »Gib deinem Trainer eine Fahrkarte nach Jerusalem. Werde wieder deutsch ... oder du gehst am Judentum zugrunde.« Konrad floh daraufhin nach Wien. Bensemann wollte im Kicker darüber kein Wort verlieren, um Streichers »Erfolg« nicht noch zu vergrößern.

Anhand solcher Beispiele zeigte Zimmermann, wie Juden im Sport ein Mittel sahen, als Individuen ihre Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft zu demonstrieren, dass aber das „Dritte Reich“ das Ende auch dieses Traums bedeutete. Die aktiven Sportler wurden aus den Vereinen ausgeschlossen, und für die jüdischen Fans führte die Segregation nach und nach zum Ausschluss aus der Gemeinschaft der Sportbegeisterten, schließlich aus der deutschen Gesellschaft.

Aber Zimmermann richtete den Blick auch über diesen negativen Ausgang der deutsch-jüdischen Sportgeschichte hinaus. Dazu zählte die Erwähnung von theoretischen, von soziologischen Ansätzen, wie etwa in dem Werk des Philosophen und Soziologen Norbert Elias über den Prozess der Zivilisation, das den Weg zur Behandlung des Sports als zentralen Elements dieses Prozesses ebnete.

Je nach Selbstverständnis und je nach der eigenen Wahrnehmung des Verhältnisses zur nichtjüdischen Gesellschaft verbanden Juden ihr sportliches Engagement mit unterschiedlichen Erwartungen. Hier illustriert die Erforschung des Themenbereichs '»Juden im deutschen Sport« einen zentralen Aspekt der Frage nach Inklusion und Exklusion, nämlich den Grad der Verbürgerlichung der jüdischen Gesellschaft. Juden haben, so Zimmermann, als Sportler und Funktionäre hauptsächlich in bürgerlichen Vereinen eine Rolle gespielt. Hier, nicht minder als in der Literatur, im akademischen Leben oder in der »Hochkultur«, bedeutete der Prozess der Inklusion die Annährung nicht nur allgemein an das Kollektiv »deutsche Nation«, sondern vor allem an das Kollektiv »Bürgertum«.

Sport genoss im internen Diskurs des modernen Judentums einen höheren Stellenwert als bislang erforscht ist.  Und ein wichtiges Motiv jüdischen Sports war, sich des Klischees vom »unsportlichen Juden« zu erwehren. Nach dem Ersten Weltkrieg und gerade vor dem Hintergrund des sich verbreitenden völkischen Antisemitismus in der Weimarer Republik sahen Juden sich veranlasst, mit Hilfe einer jüdischen Organisation den Anspruch auf Gleichberechtigung und auf eine organische »Zugehörigkeit zum Deutschtum« zu erheben. So entstand der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (RjF), der das Erlebnis der Front und des Grabens als »Schmelztiegel« hervorheben wollte. Der RjF hat entsprechend die Körperertüchtigung, das Turnen und den Sport gepflegt, 1925 den Sportbund Schild hervorgebracht und auch in seinem eigenen Presseorgan Der Schild über Sport berichtet.

Solange die Weimarer Republik existierte, konnte die Rechnung des Schild und ähnlicher Organisationen und Vereine, wie z.B. des Hakoah – in Berlin wie auch in Wien – in Bezug auf ihr Streben nach Gleichberechtigung aufgehen: Man gehörte einem jüdischen Verein an, konkurrierte aber mit den anderen Vereinen als Teil der allgemeinen deutschen Sportbewegung. So galt vielen der Sport als »Sprungbrett in die Zukunft« – so optimistisch ließ sich noch im Jahr 1930 die Zeitung der nationaljüdischen Sportorganisation Makkabi vernehmen. Das NS-Regime hat auch diese Dimension jüdischer Selbstbehauptung zunichte gemacht. Zunächst »durften« in jüdischen Vereinen organisierte Sportler weiterhin aktiv sein, wenn auch nur im internen Wettbewerb, und sie hatten jene jüdischen Sportler aufzunehmen, die aus den »deutschen« Vereinen ausgeschlossen worden waren. Moshe Zimmermann widersprach der Auffassung, wonach die Gründung des »Dritten Reichs« dem zionistischen Sport in Deutschland wie überhaupt dem Zionismus Vorschub geleistet habe, weil die nationalsozialistische Politik sich von Anfang an die antiassimilatorische Tendenz des Zionismus habe zu Nutzen machen können.

Eine Erinnerung an deutsche Juden im Sport gibt es kaum und lange Zeit sind weder ihr Beitrag zum deutschen Sport, noch ihre Ausgrenzung und Ermordung durch das nationalsozialistische Deutschland thematisiert worden. Das betrifft zum Beispiel Julius Hirsch und Gottfried Fuchs, die im deutschen Fußball der Kaiserzeit eine wichtige Rolle spielten. Hirsch, der 1943 in Auschwitz ermordet wurde, erhielt erst in der 2000 eröffneten Ausstellung Der Ball ist rund in Oberhausen ein ehrendes Angedenken.

Moshe Zimmermann schloss seinen Vortrag mit einem Blick auf die Gegenwart: Ein für Deutschland relevantes Nachspiel sei weniger der Antisemitismus auf den Rängen in den unteren Fußballligen, wie etwa bei Spielen von Makkabi Berlin oder Makkabi Frankfurt. Von größerer Bedeutung sei die Rolle der türkischen Spieler im deutschen Fußball. Dass Spieler wie Bastürk, Sahin oder die Zwillinge Altintop, obwohl sie in Deutschland und in der deutschen Kultur aufgewachsen sind, auf ihre türkische Staatsangehörigkeit nicht verzichten, um in der türkischen Nationalmannschaft spielen zu dürfen, spreche für die Bedeutung der Frage von Inklusion und Exklusion im Sport. Ein Land, in dem das Thema »Parallelgesellschaft und Assimilation« bzw. die Problematik der Inklusion auf der Tagesordnung weit oben stehe, solle, so Zimmermann, auch einen Blick auf die Erfahrungen der Vergangenheit im Bereich des Sports werfen.

 

Markus Kirchhoff

30. November 2006
Alte Handelsbörse Leipzig

Die Simon-Dubnow-Vorlesung wird finanziert durch die Thyssen-Stiftung