Ressort Politik

Möglichkeiten und Grenzen jüdischer Teilhabe an sächsischen Hochschulen:

Studierende aus Chemnitz, Dresden, Freiberg und Mittweida (1850–1950)

Das 19. Jahrhundert brachte für Juden in Sachsen nicht nur die formelle rechtliche Gleichstellung, sondern in diesem Zuge auch neue Einkommens- und Lebensperspektiven mit sich. Chancen auf einen sozialen Aufstieg und gesellschaftliche Teilhabe versprachen in besonderer Weise die neuen Zugangsmöglichkeiten zu höherer Bildung. Mit den Hochschulen in Chemnitz, Dresden, Mittweida und Freiberg verfügte Sachsen über vier renommierte akademische Einrichtungen mit technischem Profil. Als Ausbildungsstätten für spezialisierte Fachkräfte u. a. in den Montanwissenschaften, dem Ingenieurswesen, Maschinenbau oder der Elektrotechnik spielten diese eine wichtige Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und der angrenzenden Regionen. Im Rahmen des Projektes wird untersucht, inwiefern diese Hochschulen auch als Studienorte für Juden aus dem In- und Ausland attraktiv waren. Es wird den Fragen nachgegangen, welche Möglichkeiten der Teilhabe die Hochschulen boten, aber auch, mit welchen institutionellen Ausschlussmechanismen und inoffiziellen Hürden sich Juden im akademischen Bildungssystem und auf ihrem Berufsweg zu unterschiedlichen Zeiten konfrontiert sahen.

Da die jüdische Geschichte dieser Institutionen bisher nur sehr rudimentär erforscht ist, wird im Rahmen des Projekts quellenbasierte Grundlagenforschung in den Hochschularchiven betrieben. Im Zentrum steht die Erfassung quantitativer demografischer Kerndaten der Studierenden. Hierbei werden insbesondere der Anteil von Juden an der Studierendenschaft im zeitlichen Wandel, ihre geografische und soziale Herkunft sowie die bevorzugten Studienfächer ermittelt und ausgewertet. Darauf aufbauend werden tiefergehende Recherchen zu ausgewählten Einzelbiografien durchgeführt. Es werden nicht nur die Hoffnungen, die mit der Aufnahme eines Studiums verknüpft waren, und berufliche Erfolgsgeschichten herausgearbeitet, sondern auch gescheiterte Ambitionen und abgebrochene Karrieren sichtbar gemacht. Neben der historischen Einordnung der Befunde ermöglichen es die Fallstudien, heterogene Bildungs- und Berufswege exemplarisch aufzuarbeiten und so in der Gesamtschau ein differenziertes Bild der wechselvollen jüdischen Geschichte in Sachsen zwischen 1850 und 1950 zu zeichnen. Am Beispiel der Bildungsgeschichte kann die Ambivalenz der gesellschaftlichen Modernisierung und des jüdischen Emanzipationsprozesses in Sachsen sowie die Scharnierfunktion des Landes zwischen Ost- und Westeuropa nachvollzogen werden.

Als Teil des Verbundprojekts »DIKUSA« kombiniert das Projekt klassische Methoden der Geschichtswissenschaft mit denen der Digital Humanities. Neben der Einrichtung eines Digital-Asset-Management-Tools am Dubnow-Institut wird in enger Zusammenarbeit mit dem KompetenzwerkD an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig ein Datenerfassungstool entwickelt, das es unter anderem ermöglicht, die Daten der Studierenden standardisiert aufzunehmen und die Informationen mittels Reconciliation-Services mit anderen Datenbanken abzugleichen und anzureichern. Eine Auswahl der Daten und Forschungsergebnisse wird im Anschluss im Virtuellen Kartenforum der SLUB sowie auf einem individuellen Webportal präsentiert. Darüber hinaus können auf dem Portal ausgewählte Materialien (Karten, Statistiken, exemplarische Quellen) für Forschende, Lehrende sowie die interessierte Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.