Ressort Recht

Paradoxien der Zeugenschaft

Jüdische Überlebende in den bundesdeutschen Sobibor Prozessen

Im Fokus dieser Studie steht die Geschichte von rund fünfzig jüdischen Zeugen, die zwischen 1949 und 1989 in fünf bundesdeutschen Sobibor-Prozessen ausgesagt haben. Die Prozesse waren Teil des großen Tatkomplexes der Lager der Aktion Reinhard – Sobibor, Belzec und Treblinka – die als reine Vernichtungslager durch besondere Tatumstände wie durch ihre dauerhafte Abwesenheit in der öffentlichen Wahrnehmung und der historischen Forschung gekennzeichnet sind. Die Zeugenschaft in den Sobibor-Verfahren wird einerseits im Kontext der transnationalen Verflechtungen der Überlebenden sowie der weltweiten Beteiligung jüdischer Organisationen untersucht und andererseits innerhalb des konstitutiven Rahmens der bundesdeutschen Justiz und ihren Anforderungen rekonstruiert. Dargestellt werden das Zustandekommen, der Verlauf und die konkreten Umstände der Zeugenschaft der Überlebenden, auch anhand der Analyse ihrer Aussagen. Letztere stehen in Spannung zu den juristischen Bewertungskriterien der deutschen Richter sowie deren Wahrnehmung und Einschätzung der jüdischen Zeugen vor allem im Hinblick auf ihre Glaubwürdigkeit. Im Gesamtbild von vierzig Jahren zeigt sich, wie jüdische Zeugen in deutschen Gerichtssälen in eine exponierte und zugleich prekäre Position rückten. Zudem trafen sie auf eine Justiz, die ihnen zunehmend mit Misstrauen entgegentrat und sie vor paradoxe Anforderungen stellte. In diesem besonderen Fall wird eine Entwicklung der Zeugenschaft erkennbar, die in deutlichem Widerspruch zur allgemeinen deutschen Perzeptions- und Aufarbeitungsgeschichte des Holocaust nach 1945 steht.