Ressort Politik

Sicherheitspraktiken bucharischer Juden

Reaktionen auf existenzielle Bedrohungen in historischen und postsowjetischen Kontexten

Das Forschungsprojekt fragt nach Strategien der Überlebenssicherung bucharischer Juden in Reaktion auf jene existenziellen Bedrohungen, denen sie im Laufe ihrer Geschichte ausgesetzt waren und denen sie auch heute noch sowohl in Zentralasien als auch im Zuge der Migration ausgesetzt sind. »Bucharisch« bezeichnet hier jene Juden, die seit vorislamischer Zeit in zentralasiatischen Städten und heute meist in verschiedenen Teilen der Welt leben.

In Zentralasien wurden ethnische wie religiöse Minderheiten diskriminiert, aus- und von der Mehrheitsgesellschaft abgegrenzt. In Reaktion auf diese antisemitischen Praktiken passten bucharische Juden beispielsweise ihre räumlichen und sozialen Grenzen sowie ihre kulturellen Strukturen an, um ihr Leben zu sichern. In zentralasiatischen Städten lebten sie in einer isolierten »Mahalla« bzw. Stadtviertel, was im historischen Kontext mit einem Ghetto vergleichbar ist. In den damit verbundenen sozialen und religiösen Strukturen waren Eheschließungen innerhalb der eigenen Gemeinschaft ebenso notwendig wie Großfamilien und Zünfte, um die Bedrohung durch Assimilation, Zwangskonversion zum Islam, Diskriminierung und Pogrome zu verringern.
Auswanderung, Flucht, Menschenhandel und Umsiedlungen bedingten im 19. und 20. Jahrhundert vier große Migrationswellen, so dass bucharische Juden heute in Israel, in anderen westlichen Länder sowie allen Teilen der Welt leben und überregionale familiäre wie wirtschaftliche Netzwerke aufgebaut haben. Auch hier brachten sowohl Migration als auch das ortsübergreifende Zusammenleben eine Reihe von Überlebensstrategien in Reaktion auf antisemitische Bedrohungen hervor.

In Zentralasien leben heute nur noch 2.000 bis 5.000 der insgesamt einst 210.000 bucharischen Juden, die durch soziale, kulturelle und religiöse Strukturen zunehmend in internationale Gemeinschaften integriert werden. Ihre vielfältigen und teils ambivalenten Zugehörigkeiten arbeitet das Forschungsprojekt ebenso heraus wie ihre Sicherheitspraktiken in Reaktion auf sowjetische wie postsowjetische Bedrohungen durch politische Diskriminierung, ethnischen und kulturellen Assimilierungsdruck, Nationalismus und religiösen Fundamentalismus.

Das Forschungsprojekt ist Teil des  »Ignaz-Goldziher-Programms für jüdisch-muslimische Studien«, das von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wird.