Simmel und die Sprachkritik um 1900
Vortrag mit Gerald Hartung (Wuppertal) im Rahmen der digitalen Vortragsreihe »Sprachkritik als Geschichtsphilosophie im frühen 20. Jahrhundert«
Das Kolloquium nähert sich der Sprachkritik auf grundsätzliche Weise: Im Schnittbereich von politischer Zeitdiagnostik und allgemeiner philosophischer Essayistik bildet sie um 1900 eine regelrechte wissenssoziologische Disziplin aus, die mit Sprachwissenschaft im engeren Sinne kaum etwas zu tun hat; vielmehr entwirft sie im Rekurs auf Sprache ein skeptisches Geschichtsbild. Ob sich hier ein eigenständiges Untergenre der Geschichtsphilosophie zu erkennen gibt, das als Sprachdenken sichtbar wird, ist das Erkenntnisinteresse des Kolloquiums. Es verdankt sich auch der Tatsache, dass sich im Kanon der modernen Sprachkritik auffällig viele jüdische Intellektuelle finden, unter ihnen Moritz Lazarus, Hermann Steinthal, Fritz Mauthner, Gustav Landauer, Karl Kraus, Alfred Kerr, Walter Benjamin und Victor Klemperer.
Die Vorträge gehen der Frage nach, inwiefern sich für diese Autoren im frühen 20. Jahrhundert Sprachreflexionen anboten, um die bedrohliche Seite der Moderne in Worte zu fassen und damit gleichzeitig Zugehörigkeit und das eigene Selbstverständnis zu reflektieren. Die Veranstaltung bietet die Möglichkeit, über beides nachzudenken: über einzelne Argumente der klassischen Sprachkritik und über das im Rückblick beeindruckende Vertrauen darauf, mit dem Nachdenken über die Gefahren falscher Sprache eine prekär gewordene politische Gegenwart reformieren zu können.
10. Januar 2019, 17.15 Uhr
Dubnow-Institut