Antisemitismus der Gebildeten. Sozialgeschichtliche Fallstudien
Vortragsreihe im Wintersemester 2024/2025
Universitäten und Wissenschaften galten im frühen 19. Jahrhundert als ein Symbol jüdischer Emanzipationshoffnungen, selbst zu Zeiten, als persönlicher Erfolg und Aufstieg im akademischen Milieu für jüdische Gelehrte keineswegs die Regel waren. Im Deutschen Reich kamen zu den »leisen« Hürden der Diskriminierung in Berufungen »laute« Ausgrenzungen und aggressive Anfeindungen hinzu, sowohl in Studentenverbindungen als auch durch Professoren. Der Aufsatz »Unsere Aussichten« (1879) des Berliner Historikers Heinrich von Treitschke markiert diesen Umschlagpunkt von korporativen Vorbehalten und berufsständischer Distanz zu öffentlichen Schmähungen und einem neuen Antisemitismus. Der jüdische Historiker Arthur Rosenberg bezeichnete 1930 diesen neuen Diskurs, mit dem Juden kollektiv angegriffen und pauschalen Verdächtigungen ausgesetzt wurden, als »Universitätsantisemitismus«. Mit seinem Buch »Hitler’s Professors. The Part of Scholarship in Germany’s Crimes against the Jewish People« (1946) zog der Sprachwissenschaftler Max Weinreich unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust eine düstere Bilanz dieser deutschen Entwicklung, in der sich Wissenschaftler aller Fachrichtungen und die Institution der Universität selbst in den Dienst der Nazis gestellt hatten.
Das Forschungskolloquium des Dubnow-Instituts geht im Wintersemester in sechs Vorträgen den Diagnosen Rosenbergs und Weinreichs nach und stellt die damit verbundene Frage nach dem Antisemitismus der Gebildeten. Im Zentrum steht dabei weniger die Ideologiegeschichte des Ressentiments; stattdessen werden sozialhistorische und institutionengeschichtliche Fallbeispiele aus Berlin und Prag diskutiert sowie die individuellen und institutionellen Reaktionen jüdischer Zeitgenossen, die die akademische Judenfeindschaft abzuwehren versuchten.
Programm
17. Oktober 2024, Dubnow-Institut
Mathias Berek
Zuversicht und Enttäuschung: Moritz Lazarus‘ Antwort auf den akademischen Antisemitismus im späten 19. Jahrhundert
28. November 2024, Dubnow-Institut/Stream
Martha Keil
Der Mediävist Samuel Steinherz (1857 Güssing – 1942 Theresienstadt) und die »Affäre« um sein Rektorat an der Karls-Universität in Prag 1922
Vortrag fällt aus!
Shulamit Volkov
Gelehrter Antisemitismus: Spannung und Kontroverse im Zeitalter der Emanzipation
Leider muss der für Donnerstag, 12. Dezember 2024, 17.15 Uhr geplante Vortrag »Gelehrter Antisemitismus« der Historikerin Shulamit Volkov in der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig entfallen. Die Referentin musste aus privaten Gründen kurzfristig absagen. Wir suchen aktuell nach einem Termin im Frühjahr 2025, an dem die Veranstaltung nachgeholt werden kann.
16. Januar 2025, Dubnow-Institut/Stream
Werner Treß
Die Ursprünge der modernen Judenfeindschaft im Kontext der deutschen Nationalbewegung 1813 bis 1819
23. Januar 2025, Dubnow-Institut/Stream
Horst Junginger
Max Weinreich reconsidered: Hitlers Professoren – vor und nach 1945
6. Februar 2025, Dubnow-Institut/Stream
Alexander Friedman
Eduard Goldstücker und der akademische Antisemitismus im Osten Europas in den späten 1960er Jahren
Referentinnen und Referenten
Dr. habil. Mathias Berek, Technische Universität Berlin | Dr. Alexander Friedman, Universität des Saarlandes, Saarbrücken | Prof. Dr. Horst Junginger, Universität Leipzig | PD Dr. Martha Keil, Institut für jüdische Geschichte Österreichs, St. Pölten | Dr. Werner Treß, Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien, Universität Potsdam | Prof. em. Dr. Shulamit Volkov, Tel Aviv University
donnerstags, 17.15 bis 18.15 Uhr, nächster Termin: 16. Januar 2025
Dubnow-Institut/Stream