»We accuse« –
Zur Geschichte jüdischer Anklage im 19. und 20. Jahrhundert
Die Anklage als Form der aktiven, mehrheitlich für das Kollektiv formulierten Erwiderung auf Exklusion, Ungleichheit und Prozesse gewaltsamer Unterdrückung spielt eine tragende Rolle in der modernen jüdischen Geschichte Europas. Mittels der Rekonstruktion verschiedener Formen und Artikulationsmodi solcher von jüdischen Akteuren und Organisationen vorgebrachten Anklagen (etwa in Reaktion auf Ritualmordbeschuldigungen, Pogrome, antisemitische Anfeindungen, zur Durchsetzung von Kollektivrechten und Anerkennung) können die jüdischen Handlungsräume der Diaspora in ihren Möglichkeiten und Grenzen auf unterschiedlichen Ebenen zum Ausdruck kommen. Die Verschränkung einer kultur- und einer rechtsgeschichtlichen Perspektive ermöglicht hierbei, die historische Entwicklung der jüdischen Anklage als einen Säkularisierungs- und Modernisierungsprozess zu entschlüsseln, der auf gewichtige Momente des jüdischen Kampfes um Zugehörigkeit und Selbstbestimmung unter Bedingungen sich ausdifferenzierender Gesellschaft in Europa verweist. Im engeren Sinne steht eine solche Geschichte der Anklage dabei für die allgemeine Ausbildung moderner jüdischer Rechtsteilhabe seit dem 19. Jahrhundert, Formen jüdischer Repräsentation im internationalen Völkerrecht und den Transformationen in der Ausübung von Recht im Lichte des sich wandelnden Verhältnisses zu staatlicher Souveränität.
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Dr. Elisabeth Gallas