Sommersemester 2019
Sprachkritik und Sprachdenken jüdischer Intellektueller nach 1945
Zeit: Mo., 15:15–16:45 Uhr (2 SWS)
Start: 1. April 2019
Ort: Dubnow-Institut, Goldschmidtstr. 28
Seminarsprache: Deutsch
Beschreibung: Der Nazismus, so schrieb der amerikanische Literaturwissenschaftler George Steiner 1959, habe in der deutschen Sprache genau das vorgefunden, »was es brauchte, um seiner Grausamkeit Stimme und Nachdruck zu verleihen.« Diese These, dass das Deutsche nicht unschuldig an den NS-Verbrechen sei, wurde nie dezidierter formuliert als in Steiners Essay »The hollow Miracle« (dt. »Das hohle Wunder«, 1960). Die verstörende Beschreibung des Verhältnisses von deutscher Sprache und NS-Jargon ist keineswegs nur bei Steiner, sondern in überraschend vielen Zeitdiagnosen nach 1945 anzutreffen. Die Reihe der Namen reicht von H. G. Adler und Jean Améry über Victor Klemperer bis hin zu Joseph Wulf. In oft aufwändigen sprachkritisch angelegten Interpretationen der NS-Herrschaft stellten sie die Kontamination der deutschen Sprache und ihre Funktionalisierung ins Zentrum. Es entstand ein ganzes Korpus von Essays, Studien und sogar Wörterbüchern, in dem Sprache als Instrument von Ausgrenzung, Vertreibung und Vernichtung zum Thema gemacht wurde. Zugleich wurde deutlich, dass für eine solche Analyse selbst neue Begriffe zu finden waren, denn die jüdische Erfahrung unter der Herrschaft der Nazis war nicht mehr adäquat mit dem herkömmlichen Thesaurus beschreibbar. Der Lektürekurs thematisiert Reflexionen über die deutsche Sprache im Angesicht und nach der Katastrophe.
Literatur: Gute Einführungen zum Thema sind die genannten Grundlagentexte: George Steiner, Das hohle Wunder (1960), in: ders., Sprache und Schweigen. Essays über Sprache, Literatur und das Unmenschliche, Frankfurt a. M. 1973, 155–176; Victor Klemperer, LTI. Notizbuch eines Philologen (Berlin: Aufbau 1947); derzeit in 18. Auflage, Reclam-Tb., 2018.
Geöffnet für Seniorenstudium: nein
Begrenzung der Teilnehmerzahl: 20
Voraussetzung der Teilnahme ist die Bereitschaft zur Übernahme eines Referats.